Review: Michał Łapaj – Are You There? (Polen, 2021)

Michał Łapaj, der Keyboarder der wohl bekanntesten polnischen Progressive-Rock-Band Riverside hat sein erstes Soloalbum veröffentlicht. Warum er damit sogar aus dem Schatten des viel bekannteren Frontmanns Mariusz Duda treten kann, erfahrt Ihr in diesem Review.

Er versprüht auf der Bühne stets gute Laune, hüpft ständig zwischen seinen zahlreichen Tasteninstrumenten hin und her und animiert das anwesende Publikum in den genau richtigen Momenten zum Mitklatschen: Michał Łapaj könnte man als die gute Seele von Riverside bezeichnen. Ich habe ihn selbst Ende 2018 beim grandiosen Konzert in der Turbinenhalle Oberhausen erlebt – er kann die Menge wirklich mitreißen.

Aber der 39-Jährige kann auch anders – nämlich richtig düstere Musik komponieren und zu Gehör bringen. Das beweist er auf seiner ersten Soloplatte, die er jetzt bei einem der größten polnischen Independent-Plattenlabel, Mystic Production, herausgebracht hat.

Mick Moss von Antimatter als Gastsänger

Schon ein Blick auf die Tracklist verspricht Großes: Denn auf zwei Stücken wird der Riverside-Keyboarder von Mick Moss am Mikrofon unterstützt. Der Antimatter-Sänger begeistert mich immer wieder mit seiner genialen Stimme, die der von Eddie Vedder (Pearl Jam) nicht unähnlich ist, nur noch viel depressivere Lyrics transportiert. So auch auf “Are You There?”.

Nach dem ruhigen “Pieces”, das an die Keyboard-Intros von Richard Wright bei Pink Floyd erinnert, kommt mit “Flying Blind” schon der erste Moss-Song, dem direkt Nummer zwei folgt. Vor allem “Shattered Memories” hätte problemlos auch von einem Antimatter-Album stammen können – textlich wie auch musikalisch macht das Stück der einmal als “traurigster Band auf diesem Planeten” locker Konkurrenz. Die Keyboard-Melodie frisst sich schon beim ersten Durchlauf unweigerlich ins Hirn und bleibt da verankert. Ein Übersong, der noch dazu echte Drums und ein fulminantes Gitarrensolo am Schluss zu bieten hat.

Michał_Łapaj

Michał Łapaj

Der Riverside-Keyboarder entführt den Hörer auf seinem ersten Soloalbum in düstere Klangwelten, die ihresgleichen suchen.

Foto: Cisum Eporue
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Der Atmosphäre, die Łapaj auch im weiteren Verlauf aufbaut, kann sich nur schwer entziehen. Das ganze Album entwickelt einen geradezu hypnotischen Charakter, wie man ihn auch von Lunatic Soul kennt, dem Neben-Projekt seines Band-Kollegen Mariusz Duda.

Außerdem ist die Reihenfolge der Stücke genau richtig gewählt. Nach den beiden Moss-Auftritten holt sich der 39-Jährige noch einmal Verstärkung ins Boot. Die polnische Sängerin Bela Komoszyńska veredelt “Shelter” mit ihrer brillanten Stimme – wenn man so will, ist das die “Hit-Single” des Albums. Verdient wäre es allemal, wenn Michał Łapaj durch den Song die Aufmerksamkeit bei den Radiostationen und in den Charts bekommen würde, die er für sein ganzes Meisterwerk verdient hat.

Auch Sängerin Bela Komoszyńska brilliert

Danach wird es elektronisch und bleibt es völlig instrumental: Der Solokünstler packt sein ganzes Arsenal an technischen Möglichkeiten aus – um bedrohliche Soundkulissen aufzubauen, die immer wieder von wunderschönen Keyboard-Melodien durchbrochen werden. Zwischen den beiden über zehnminütigen Monolithen “Where Do We Run” und “In Limbo” hat noch einmal Bela Komoszyńska einen großen Auftritt. “Fleeting Skies” ist aber kein gesungenes Lied, die Polin setzt sie ihre Stimme eher wie ein weiteres Instrument ein. Das Stück ähnelt vom Aufbau her “The Great Gig In The Sky” vom Pink Floyd-Klassiker “Dark Side Of The Moon”.

Aber auch Tangerine-Dream-Fans kommen in den über 60 Minuten voll auf ihre Kosten. Von billiger Kopie ist auf dem gesamten Album aber keine Spur. Ganz im Gegenteil: Der Riverside-Keyboader hat etwas geschaffen, das ich in dieser Form noch nicht zu Gehör bekommen habe. Nicht bei Riverside, nicht bei Lunatic Soul, nicht bei Pink Floyd, auch nicht bei der deutschen Electro-Legende Tangerine Dream.

Michał Łapaj - Shattered Memories (feat. Mick Moss) [Official Video]

Mein bisheriges Album des Jahres

Wenn die letzten Takte von “From Within”, dem Abschlussstück verklungen sind, muss man erstmal wieder in die Realität zurückfinden – so weit wurde man von Michał Łapaj in düstere, völlig neue Klangwelten entführt. Und dennoch ist man geneigt, sofort wieder die Play-Taste zu drücken. Dieses fantastische Album macht süchtig und muss 2021 erstmal überboten werden: Mein bisheriger Favorit in diesem Jahr!
(Alle Reviews gibt es hier)

Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ ⭐️ (11 von 12 Punkten)

Album: Michał Łapaj – Are You There? (2021)
Running time: 63:00 Min.
Label: Mystic Production
Format: Digital, CD, Vinyl

Trackliste:

  1. Pieces 2:44
  2. Flying Blind (feat. Mick Moss) 4:07
  3. Shattered Memories (feat. Mick Moss) 7:12
  4. Shelter (feat. Bela Komoszyńska) 4:57
  5. Where Do We Run 10:13
  6. Fleeting Skies (feat. Bela Komoszyńska) 5:44
  7. In Limbo 11:42
  8. Unspoken 5:25
  9. Surfacing 7:03
  10. From Within 3:38

Michał Łapaj im Internet:
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Oliver
Oliver

Ich wurde 1971 geboren – dem Jahr von #4 von Led Zeppelin, Blue von Joni Mitchell, Meddle von Pink Floyd und Master Of Reality von Black Sabbath. Und so unterschiedlich die Stile dieser klassischen Alben sind, so unterschiedlich ist auch mein Musikgeschmack. Hier gibt es mehr Infos über mich

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