Alex Henry Foster – dieser Name war mir bis vor anderthalb Jahren überhaupt kein Begriff. Dann zog mich sein erstes Soloalbum für mehrere Wochen aber komplett in den Bann. Jetzt bringt der kanadische Musiker ein Live-Album auf den Markt. Und auch der Nachfolger ist etwas ganz besonderes.
Kanada scheint derzeit das Epizentrum der Kreativität zu sein. Kein Wunder, das Land der Rockgenies von Rush war schon immer für ungewöhnliche und unabhängige Musiker bekannt, die ihren eigenen Weg verfolgten, ohne gleich auf den schnellen Charterfolg zu schielen.
Erst kürzlich habe ich das hervorragende Debüt der Alternative-Progrocker Trope besprochen und in höchsten Tönen gelobt. Dann gibt es Spiritbox – eine Metal-Band, ebenfalls mit einer charismatischen Front-Frau, die sogar fiese Growls beherrscht. Und außerdem hat mit Hillward eine andere Metal-Gruppe gerade erst ein fantastisches drittes Album abgeliefert.
Sogwirkung durch “Spoken words” und Soundscapes
Alex Henry Foster bildet allerdings eine Ausnahme unter den hier erwähnten Künstlern, denn in die Progrock- oder Progmetal-Schublade kann man den 31-Jährigen aus Montréal wirklich nicht stecken. Der Gründer ist sowohl als Bandgründer von Your Favorite Enemies wie auch als Soloartist eindeutig der Independent-Szene zuzurechnen. Aber trotzdem ist das, was er im Studio und auf der Bühne abliefert, im beste Sinne progressiv.
Den Mut, ein Album aufzunehmen, das zu großen Teilen nur aus Sprechgesang besteht, muss man schließlich erstmal haben. Doch das Experiment auf “Windows In The Sky” gelang im vergangenen Jahr auf ganzer Linie. Ich konnte mich Anfang 2020 der Faszination, die durch den Kontrast aus Spoken-Words-Passagen und atmosphärischen Soundscapes entsteht, von der ersten Minute an nicht entziehen. Das Werk wird aber nochmal auf einen ganz anderen Emotionslevel gehoben, wenn man den Hintergrund und die Entstehungsgeschichte kennt. Foster verarbeitet darin nämlich den Krebstod seines Vaters.
Im Studio und auf der Bühne an Intensität kaum zu überbieten
Da ich kurz zuvor selbst einen schweren persönlichen Verlust hinnehmen musste – mein Onkel war völlig überraschend nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben –, war das Album für mich wie ein Rettungsanker in harten Zeiten. Es fühlte sich fast beim Hören wie eine körperliche Erfahrung an und entwickelte eine unwiderstehliche Sogwirkung. Stücke wie das 14-minütige “The Hunter” trafen wunde Punkte in meiner Seele, wie es nur ganz wenige andere Platten vermögen. Eine vergleichbare ist “In the Passing Light of Day” von Pain Of Salvation aus dem Jahr 1997, dessen Intensität ebenfalls so heftig ist, dass ich die Scheibe oft nicht komplett am Stück durchhören kann.
Heute habe ich meine Trauerphase überwunden und den Verlust verarbeitet – und kann die Songs von Alex Henry Forster in ausufernden Versionen auf “Standing Under Bright Lights” nun sogar zum ersten Mal richtig genießen. Denn der Kanadier wäre sich wohl selbst untreu geworden, würde er sie live einfach nur herunterspielen.
Stattdessen werden die ohnehin meist schon überlangen Songs von Foster und seiner elfköpfigen Band durch textliche und musikalische Improvisation noch weiter gestreckt. Diese Herangehensweise macht auch das erste Live-Album des 31-Jährigen ungemein spannend. Man meint manchmal sogar, komplett neue Songs zu hören. Und einen gibt es tatsächlich: Das achtminütige “Son of Hannah”, das passenderweise den Auftakt des Konzerts bildet. Mitgeschnitten wurden die Songs übrigens bereits am 5. Juli 2019 auf dem Festival International de Jazz in seiner Heimatstadt Montréal.
Alex Henry Foster hat weitere Projekte geplant
Foster konnte seine erste Soloplatte danach noch Anfang 2020 in einigen europäischen Ländern auf der Bühne präsentieren, unter anderem auch in Deutschland. Doch dann ließ bekanntlich Corona weitere Tourpläne platzen – wie bei so vielen anderen Musikern und Bands auch.
Mittlerweile arbeitet der Kanadier aber bereits an “vielen weiteren Projekten”, wie er mir in einem Chat auf Instagram verriet. Ich hoffe, bald einen Interview-Termin mit ihm zu vereinbaren und mehr darüber zu erfahren. Man darf auf jeden Fall gespannt sein, wohin seine Reise diesmal hingeht. Eines dürfte aber feststehen: Langweilig wird sie nicht.
Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ (9 von 12 Punkten)
Album: Alex Henry Foster – Standing Under Bright Lights (Live from Festival International De Jazz De Montréal
Laufzeit: 91:00 Min.
Label: Hopeful Tragedy Records
Format: Digital, CD, Vinyl
Trackliste:
- The Son of Hannah 8:41
- The Pain That Bonds (The Beginning is the End) 8:49
- Winter is Coming in 11:19
- Shadows of Our Evening Tides 19:25
- The Hunter (By the Seaside Window) 21:18
- Snowflakes in July 14:31
- Summertime Departures 12:55
- Lavender Sky 6:24
- The Love That Moves (The End is Beginning) 8:27
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