Review: Astrakhan – A Slow Ride Towards Death (Schweden, 2021)

Und weiter geht meine musikalische Weltreise… Diesmal mache ich Station im wunderschönen Schweden, das zu meinen absoluten Lieblingsländern zählt. Auch die Platte einer mir bisher unbekannten Band namens Astrakhan hat gute Chancen, ein Favorit in meinen Jahrescharts zu werden. Warum das so ist, erfahrt ihr unten.

Zunächst machte mich der Bandname neugierig. Der kam mir nämlich irgendwie bekannt vor. Genau: Astrachan ist eine Stadt an der Wolga in Russland mit mehr als 500.000 Einwohnern. Schon irgendwo mal gehört. Gleichzeitig steht der Ausdruck aber auch für schwarzen oder grauen Pelz von Lämmern, der für Hüte oder Mäntel verwendet wird. Worauf die Gruppe sich bezieht, konnte ich leider bei meiner Recherche nicht herausfinden. Aber vielleicht lässt sich ja irgendwann mal ein Interview vereinbaren, bei dem ich diese Frage dann stellen kann.

Eine Supergroup des schwedischen Progressive Metal

Die vierköpfige Formation setzt sich übrigens aus Musikern zusammen, die man von anderen bekannten schwedischen Gruppen kennt: Johan Hallgren (Gitrarre & Vocals, Pain Of Salvation) und Per Schelander (Bass & Vocals, Royal Hunt). Dazu gesellen sich Frontmann Alexander Lycke, einer der wohl besten Rocksänger des Landes, und Schlagzeuger Martin Larsson (House Of Shakira). Eine Art Supergroup des schwedischen Progressive Metal also.

Ihre Scheibe trägt den pessimistischen Titel “A Slow Ride Towards Death” nicht zu Unrecht. Denn von den ersten Klängen an begibt sich der Hörer auf eine emotionale Achterbahnfahrt. Keine leichte Kost ist bereits der Auftaktsong “Lonesome Cry”, dessen dramatische Melodiebögen mit dem nicht minder dramatischen Text eine perfekt-traurige Mischung eingehen. Der Protagonist berichtet mit seinem “einsamen Schrei” offensichtlich vom Verlust eines geliebten Menschen und davon, dass auch sein eigenes Leben dadurch keine Bedeutung mehr hat. Eine Tragik, die wohl jeder gut nachvollziehen und bei der jeder mitleiden kann – sofern er nicht gerade ein gefühlloser Roboter ist.

A lonesome cry

My last goodbye

All my life

A promise to live a lie

And the dreams we had

Now they make me sad

Astrakhan – Lonesome Cry

Keine glattgebügelte Produktion – und das ist gut so

Dazu brezeln die Gitarren heftig und verzerrt. Es wird bereits mit dem ersten Stück klar: Das ist kein konventioneller, glattgebügelter Progressive Metal. Die Band nennt ihre Musikrichtung denn auch Progressive Sludge Metal – angelehnt an das Sludge-Metal-Genre, dessen wohl bekannteste Vertreter Crowbar sind.

Die Produktion passt sich den harten und düsteren Sounds perfekt an. Sie ist richtig dreckig und 70er-Jahre-mäßig – fast so, als hätten die Künstler eine gehörige Portion Staub auf ihren Instrumenten gehabt. Nicht immer mag ich diese Herangehensweise an Aufnahme-Sessions. Die schwedischen Kollegen Opeth haben manche ihrer letzten Werke ebenfalls mit einer dicken Patina versehen und stießen damit bei mir auf Ablehnung. Aber hier passt es bestens, zumal Sänger Lycke mit seinem Timbre und großen Stimmumfang an Rockröhren aus den “Siebzigern”, etwa Ian Gillan (Deep Purple), erinnert.

Astrakhan - Lonesome Cry/M E 2020(Live)

Auch Song Nummer zwei “Take Me With You” ist ganz von seiner hervorragenden Stimme geprägt und nimmt den Hörer erneut mit in düstere Klang- und Lyrikwelten. Würde die komplette Scheibe in diesem Stil weitergehen, wäre man spätestens nach der Hälfte wohl emotional so fertig, dass man eine Pause einlegen müsste.

Als würde die Gruppe das wissen, ist “What You Resist Will Remain” eine sehr willkommene Auflockerung. Hier wird im Refrain nicht nur der Albumtitel zitiert. Die Gitarren erzeugen sogar einen tanzbaren Rhythmus. Gepaart mit Lyckes fast bluesigem Gesang, ist das sicher einer der Höhepunkte der Platte. Und gerade das Ende mit dem mehrstimmigen Gesang strahlt sogar etwas Fröhlichkeit aus. Kann man sich sehr gut bei einem Live-Konzert vorstellen, wenn im besten Fall dann sogar der ganze Saal mit einstimmt.

Zu meiner Überraschung habe ich festgestellt, dass Astrakhan durchaus eine etablierte Band sind, die auch bereits ein Live-Album herausgebracht haben. Aber an mir sind sie bisher völlig vorbeigegangen. Das hat sich mit ihrer aktuellen Veröffentlichung glücklicherweise geändert. Ich habe Lust auf mehr bekommen und werde mich jetzt durch ihren Back-Katalog arbeiten.

Absoluter Höhepunkt folgt am Ende

Warum es trotzdem nicht die volle Punktzahl gibt? Weil den nicht minder brillanten “Never Let You Go” und “Youtopia” mit den folgenden beiden Stücken ein kleiner Durchhänger folgt. Glücklicherweise bekommt die Gruppe rechtzeitig die Kurve und zieht beim über neunminütigen Abschlusssong “M.E. 2020” nochmal alle Register ihres großen Könnens.

Das erneute Auf und Ab der Gefühle wird gespickt mit Keyboardsoli von Gast Fredrik Hermansson (ex Pain of Salvation), die auch von einem Neo-Prog-Album stammen könnten. Eine Hammondorgel läutet dann das ruhige und versöhnliche Finale ein. Der Protagonist ist über seinen schweren Verlust hinweg gekommen und zieht das Fazit, dass das Leben weitergehen muss. Untermalt wird das Ganze von einem wunderschönen Gitarrensolo – ganz am Ende gibt es also doch nochmal Wohlklang der feinsten Sorte.

5 more years will come and go

And I won’t wait, won’t wait for you cause

Life is short it will pass you by

All we have is here and now

Astrakhan – M.E. 2020

Auch mein Fazit fällt eindeutig aus: Astrakhan haben mit “A Slow Ride Towards Death” ein Ausrufezeichen in der Progressive-Metal-Szene gesetzt. Diese Band ist vielleicht nicht immer perfekt (will sie wohl auch gar nicht sein), aber ziemlich einzigartig. Das ist wohl nicht das schlechteste Kompliment, das man Künstlern machen kann…

Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ (9 von 12 Punkten)

Album: Astrakhan – A Slow Ride Towards Death (2021)
Running time: 45:00 Min.
Label: Melodic Passion Records
Format: Digital, CD, Vinyl

Trackliste:

  1. Lonesome Cry 4:40
  2. Take Me With You 5:38
  3. What You Resist Will Remain 6:25
  4. Never Let You Go 5:21
  5. Youtopia 5:39
  6. Until It Ends 3:41
  7. Control 4:29
  8. M.E 2020 9:25

Astrakhan im Internet:
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Oliver
Oliver

Ich wurde 1971 geboren – dem Jahr von #4 von Led Zeppelin, Blue von Joni Mitchell, Meddle von Pink Floyd und Master Of Reality von Black Sabbath. Und so unterschiedlich die Stile dieser klassischen Alben sind, so unterschiedlich ist auch mein Musikgeschmack. Hier gibt es mehr Infos über mich

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