Die Synthesizer sirren, die Gitarren flirren – und im Refrain singt Decho Taralezhkov etwas von „Dragonman“ – also dem Drachenmann. Aber nein – der Song heißt ja „Dragoman“! Was auch immer das nun für ein Typ sein soll…
Wie man sieht – der erste Kontakt mit Stop The Schizo lässt den interessierten Hörer etwas ratlos zurück. Eine weitere Recherche im Internet enthüllt dann sogar die Tatsache, dass es sich bei Dragoman nicht etwa um eine Person, sondern eine bulgarische Kleinstadt handelt. „Unter der Dusche kam mir die Idee für das Stück“, sagt Sänger Decho mit einem Lächeln auf den Lippen. „Ich habe den Begriff dort einfach so vor mich hergesungen.“
“Dragoman” erobert die bulgarischen Charts
Selbst Landsleute sind von der vogelfreien, man könnte auch sagen etwas naiven, Herangehensweise der Gruppe an ihre Musik manchmal irritiert. Decho gibt zu: „Welche bulgarische Rockband schreibt schon ein Lied über einen kleinen Ort im Westen des Landes?“ Das hinderte „Dragoman“ aber keinesfalls daran, abertausende Male im heimischen Radio – vor allem auf den Sendern in der Hauptstadt Sofia – gespielt zu werden und letztlich sogar Platz 1 bei zwei der wichtigsten Rockcharts des Landes zu erreichen. „Es ist bisher unser größter Hit“, erklärt der Haupt-Sänger der Gruppe, die sich selbst als Independent-Act bezeichnet. Denn: „Wir haben noch ein Leben neben der Musik und müssen daher alles selber organisieren, produzieren und letztlich auch bezahlen.“
Neben dem Indie-Gedanken gesellt sich bei Stop The Schizo aber noch eine gehörige Portion Art Rock hinzu. „Unsere Musik soll auch einen gewissen Anspruch haben“, erläutert Decho dazu im Gespräch mit Buying New Music. Die fünf Musiker verarbeiten ihre unterschiedlichen Erfahrungen und Einflüsse aus den verschiedensten Genres zu Pop-orientiertem High-Energy Alternative Rock, „der sich hoffentlich selbst jeglicher Genre-Kategorisierung entzieht“, wie Keyboaderin Valia Barlev es formuliert.
Stop The Schizo: Eine im positiven Sinn verrückte Band
Und dann wäre da eben noch die – oben erwähnte – leichte Verrücktheit in der Musik und der Außendarstellung, die die Band ebenfalls aus der breiten Masse klassisch-depressiver Alternative-Gruppen heraushebt und gleichzeitig so sympathisch macht.
Schon beim Promo-Foto (siehe oben) schlägt die 2014 in Sofia gegründete, fünfköpfige Truppe einen quietschbunten Kurs ein, der sich auf Konzerten bei Valia nicht nur in knallig gefärbten Haaren, auffälligem Lippenstift und und einem angemalten Gesicht widerspiegelt. Die Liveshows sind nämlich weiterhin geprägt von aufwendigen Multimedia-Präsentationen, die vom VJ der Band, Emil Granicharov, designiert und eingespielt werden.
Gern gesehener Gast auf Festivals in Bulgarien
Die Synthie-Sounds machen die Songs von Stop The Schizo außerdem irgendwie tanzbar – eine Komponente, die die Keyboarderin und ihre vier Kollegen auf der Bühne nach Herzenslust ausleben. „Ich würde mir wünschen, dass auch im Publikum noch mehr Leute zu unserer Musik tanzen würden“, meint Sänger Decho. Er glaubt, dass diese Reserviertheit aber ein typisches Phänomen der Clubszene ist, in der fröhlich sein und ausgelassen feiern bekanntlich „No-Gos“ sind.
Gerne würden Stop The Schizo natürlich auch einmal die Reaktionen von Konzertbesuchern in anderen europäischen Ländern auf ihre Musik austesten. Doch konkrete Pläne für Auslandsausflüge gebe es angesichts der Pandemie noch nicht.
In Bulgarien schätzt sich die Formation jedenfalls glücklich, trotz Corona regelmäßig bei Konzerten und auf Festivals – wie zum Beispiel „Rebel Rebel“ Mitte Juli in Sofia – auftreten zu können. „Dieser Sommer war für hiesige Musikbands wie uns fast schon wieder normal“, sagt Decho. Im letzten September entschied sich das osteuropäische Land – mit als erstes in der EU – dazu, größere Veranstaltungen wie etwa Konzerte wieder zuzulassen – was auch für die Fünf von Stop The Schizo ein Stück Normalität in ihre Leben zurückbrachte.
Studio Live Session zeigt alle Facetten von Stop The Schizo
Ihr erstes Live-Dokument nach zwei EPs und der „Dragoman“-Single entstand dennoch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die „Live Session“ wurde im Juli 2020 im Sofia Session Studio aufgenommen und zeigt eindrucksvoll, was die aufstrebende Band so alles auf dem Kasten hat. Vom erwähnten Mitsing-Hit über Indie-Hymnen mit leichtem R.E.M.-Einschlag wie „Perfectly Obscence“ bis hin zum leicht melancholischen Ausblick auf unser aller Zukunft in „Dance For Tomorrow“, das sogar mit zwei Trompetern aus einer Brass-Sektion eingespielt wurde.
Den Anfangs- und Endpunkt des mit sechs Kameras aufgenommenen Streaming-Konzertes, das auf der YouTube-Seite der Band zu sehen ist, setzt Valia Barlev. Im Intro lässt sie mit ihrem Korg-Synthie zunächst Erinnerungen an den wohl berühmtesten Tastenkünstler der 1980er Jahre wach werden. Alle ab Mitte 40 wissen natürlich, dass damit nur Jean-Michel Jarre gemeint sein kann. Im Outro glänzt sie dagegen mit introvertierter Pianomusik à la Yann Tiersen.
Eine Gruppe, von der man noch viel Gutes hören wird
Ein perfekt choreografiertes Konzert-Drehbuch also, das die Vielfältigkeit der Gruppe zeigt und gleichzeitig eindrucksvoll beweist, dass man Stop The Schizo – aller Leichtigkeit zum Trotz – in der Musikszene durchaus ernst nehmen sollte. Denn das hier ist eine ambitionierte und talentierte Gruppe, von der man in den nächsten Monaten und Jahren sicher noch viel Gutes hören und – hoffentlich irgendwann auch auf deutschen Konzertbühnen – sehen wird.
Stop The Schizo sind:
Decho Taralezhkov (Gesang, Gitarre), Valia Barlev (Gesang, Synthesizer), Anton Velev (Gitarre, Backing vocal), Vladimir Leviev (Bass, Upright Bass) und Mihail Deliradev (Schlagzeug, Percussion)
Stop The Schizo im Internet:
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