Review: Nova von Sylvaine – Nichts Neues, aber trotzdem faszinierend (Frankreich/Norwegen, 2022)

Neuentdeckung aus Frankreich: Sylvaine spielen Blackgaze – ein Heavy-Metal-Untergenre, das (Überraschung!) Elemente aus Black Metal und Shoegaze beinhaltet. Ein durchaus reizvoller Mix, der von den Kontrasten aus heftigen Ausbrüchen und ruhigen Parts lebt.

Bekannt gemacht hat die Spielart die französische Band Alcest um Frontmann Neige. Hinter den Vorreitern hat sich eine lebhafte Bandszene formiert, die den Genre-Fans regelmäßig Nachschub liefert. Ich wage mal die Prognose: Sylvaine werden mit ihrem vierten Album “Nova” den Sprung in die erste Liga schaffen – die Scheibe hat echt was, obwohl sie nicht perfekt ist.

Sylvaine mit charismatischer Sängerin

Auch diese Gruppe hat ihre Heimat in Frankreich, wobei Sängerin und Multi-Instrumentalistin Kathrine Shepard (Künstlername: Sylvaine) eigentlich aus Norwegen kommt. Das ist aber nicht ihre einzige Verbindung mit Alcest – schließlich war sie auch auf deren letzten beiden Werken Spiritual Instinct und Kodama mit Vocals vertreten. Ihre Stimme, die in einem Moment extrem zerbrechlich und im nächsten nach bester Black-Metal-Art heftig keifen kann, steht auf “Nova” ganz klar im Mittelpunkt.

Das Titelstück schwelgt noch komplett in schwebenden Klängen, die selbst auf einer Enya-Platte aus den 1990er Jahren nicht Fehl am Platz gewesen wären. Danach bläst das elfminütige “Mono no aware” das Trommelfell ordentlich durch. Immer wieder wechselt die Stimmung zwischen träumerisch und aggressiv. Kathrine beweist, dass hinter ihrem feenhaften Aussehen mit den langen blonden Haaren – etwa auf dem Albumcover als echtem Hingucker – eine extrem wandlungsfähige Vokal-Artistin steckt. Ihre Growls wirken nach dem ruhigen Auftakt umso mehr nach.

Video zu “Nowhere, Still Somewhere”

“Nowhere, Still Somewhere” übt auf knapp vier Minuten eine ähnliche Faszination aus. Durch die wunderschönen Melodien im Refrain wird man regelrecht in die Musik hineingezogen. Der Song könnte sogar als Single-Auskopplung richtig erfolgreich werden. Kein Wunder, dass Sylvaine dazu auch ein Video produziert haben.

SYLVAINE - 'Nowhere, Still Somewhere' (official music video) 2021

In dem Stil geht es in den nächsten Stücken weiter – und gerade als das Farbenspiel zwischen Dunkel und Hell langweilig zu werden droht, zaubern Sylvaine mit “Everything Must Come To An End” einen – nicht nur wegen des Titels – traumhaften Abschluss-Song auf den Plattenteller. Über dem Leitmotiv, das zunächst auf der Gitarre und am Ende mit einer Geige gespielt wird, kommt die engelsgleiche Stimme der Sängerin noch einmal richtig zum Ausdruck. Wer dabei keine Gänsehaut bekommt, muss ein gefühlloser Roboter sein.

Blackgaze nach bekanntem Muster

Wenn es am schönsten ist, sollte man aufhören: Diesen Ratschlag befolgt die Band dann auch – obwohl es mit “Dissolution” noch einen Bonustrack gibt – der aber zurecht ein solcher geblieben ist und dem Werk nichts Neues mehr hinzufügen kann. Ohnehin verlässt sich “Nova” – auch wenn die lateinische Übersetzung etwas anderes suggerieren mag, auf genreübliche Zutaten. Ungewöhnlich ist sicher die weibliche Komponente – Blackgaze war bisher eher eine Männerdomäne. Das dürfte Sylvaine auch bei künftigen Auftritten viel Aufmerksamkeit sichern.

Wer wirklich progressive Musik erwartet, ist bei der Band allerdings an der falschen Adresse. Sie bewegt sich zwischen den bekannten Gegensätzen: Alle Songs beginnen ruhig und steigern sich im Finale in eine durch die Gitarre erzeugte “Wall of Sound”, die mithilfe von Drum-Blastbeats verstärkt wird. Ausnahmen bilden – wie erwähnt – der erste und letzte Track. Das wiederum ist eine durchaus geschickte Vorgehensweise, weil es der Platte eine innere Geschlossenheit verleiht.

Sylvaine sollte man im Auge behalten

Trotz der geäußerten leichten Kritik habe ich Sylvaine jetzt auf meinem Radar und werde bestimmt ein Konzert besuchen, sollte es eines in meiner Nähe geben. Besonders gespannt bin ich aber, wie die das Nachfolge-Album wird. Wenn sie es schaffen, sich – wie Alcest 2014 mit “Shelter” – freizuschwimmen von den engen Fesseln des Blackgaze-Genres, steht ihnen eine ähnlich große Zukunft bevor.

Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ (8 von 12 Punkten)

Album: Sylvaine – Nova (2022)
Laufzeit: 50 Min.
Label: Season of Mist
Format: Digital, CD, Vinyl

Trackliste:
1. Nova
2. Mono No Aware
3. Nowhere, Still Somewhere
4. Fortapt
5. I Close My Eyes So I Can See
6. Everything Must Come To An End
7. Dissolution (Bonus)

Sylvaine im Internet:
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Oliver
Oliver

Ich wurde 1971 geboren – dem Jahr von #4 von Led Zeppelin, Blue von Joni Mitchell, Meddle von Pink Floyd und Master Of Reality von Black Sabbath. Und so unterschiedlich die Stile dieser klassischen Alben sind, so unterschiedlich ist auch mein Musikgeschmack. Hier gibt es mehr Infos über mich

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