Review: The Last Sighs Of The Wind – We Are Trees (Belarus, 2017)

Wer sagt eigentlich, dass aus Belarus – dem Land von Diktator Alexander Lukaschenko – nichts Gutes kommt? Ganz im Gegenteil, neben der glücklicherweise noch existierenden politischen Opposition, die trotz aller Repressionen weiterhin für demokratische Strukturen kämpft, wird dort auch tolle Musik gemacht. Zum Beispiel im Post-Rock-Genre.

Diese Platte ist frisch wie eine Meeresbrise, kühlend wie ein Sommergewitter oder betörend wie ein Spaziergang im von Moos überwachsenen Wald – passender hätte ihr Titel daher nicht sein können: “We Are Trees” ist in diesem Sommer mein wohl meist gespieltes Album gewesen. Und dessen Urheber haben ebenfalls den perfekten Bandnamen gewählt: “The Last Sighs Of The Wind” stammen aus dem Ort Mogilev und waren mir bis vor einigen Monaten noch völlig unbekannt.

The Last Sighs Of The Wind machen ihrem Namen alle Ehre

Dann stieß ich in einer Post-Rock-Playlist bei Apple Music auf ihren Titel “Your Wave Caresses Me” und war nach einmaligem Anhören sofort angefixt. Aber nicht nur das erste Stück auf “We Are Trees” entwickelt eine geradezu hypnotische Anziehungskraft. Das Album, das sich, grob gesagt, um den stetigen Wechsel in der Natur dreht, ist von der ersten bis zur letzten Minute absolut magisch. Viele Songs werden zunächst von sanften Gitarrenmelodien getragen, die sich zum Ende hin in einen Maelstrom von brillanten Soli steigern – Gänsehaut ist garantiert!

Post Rock, der die Grenzen des Genres sprengt

Dabei sprengen “The Last Sighs Of The Wind” sogar die Grenzen des als introvertiert bekannten Genres und klingen teilweise sogar erstaunlich optimistisch. Wenn beispielsweise bei “Bird’s Song” nach echten Vogelstimmen eine geradezu fröhliche Melodie ertönt, ist das erfrischend anders. Ebenso gibt es aber natürlich jede Menge melancholische Momente – wie es sich für richtigen Post Rock gehört. Ganz großes Kino ist etwa der finale Doppelschlag mit “Vanity” und “A Frozen Moment” – wer da nicht in Schwelgen gerät, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.

Absolut positiv ist auch, dass die weißrussische Band genau dann aufhört, wenn es am intensivsten ist. Bevor sich Motive und Songaufbau irgendwann wiederholen können, ist das Album nach rund 50 Minuten zu Ende – eine perfekte Laufzeit, um die emotionale Achterbahnfahrt an einem Stück und ohne Ermüdungserscheinungen genießen zu können.

Nachfolger ist leider noch nicht in Sicht

Die vierköpfige Gruppe, deren Songschreiber einer der beiden Gitarristen (Oleg) ist, schreibt auf ihrer Bandcamp-Seite übrigens, dass einige Tracks von einer Konzerttour in China inspiriert wurden. Auf ihrem Facebook-Profil ist der letzte Eintrag von Dezember 2019. Es bleibt zu hoffen, dass die Band weiterhin aktiv ist und vielleicht nur während der Corona-Pandemie eine Pause eingelegt hat. Auf den Nachfolger ihres brillanten Debüts wäre ich jedenfalls sehr gespannt.

Fazit: Wenn “We Are Trees” nicht schon vor vier Jahren herausgekommen wäre, würde die Platte garantiert in meinen Jahrescharts weit oben rangieren. So aber gibt es einen Extra-Punkt für ihre zeitlose Schönheit, die auch 2021 noch absolut faszinieren kann. Freunde instrumentaler Rock und Metal-Musik sollten unbedingt reinhören!

Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ ⭐️⭐️ (11 von 12 Punkten)

Album: The Last Sighs Of The Wind – We Are Trees (2017)
Laufzeit: 50 Min.
Label: Eigener Release über Bandcamp
Format: Digital, CD, Vinyl

Trackliste:

  1. Your Wave Caresses Me 4:47
  2. Anxiety 3:46
  3. Dispair 5:11
  4. The Return Of Thunder 6:05
  5. New Horizons 4:56
  6. Bird’s Song 4:05
  7. Euphoria 4:28
  8. Phobia 4:25
  9. Vanity 6:45
  10. The Frozen Moment 5:33

The Last Sighs Of The Wind im Internet:
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Oliver
Oliver

Ich wurde 1971 geboren – dem Jahr von #4 von Led Zeppelin, Blue von Joni Mitchell, Meddle von Pink Floyd und Master Of Reality von Black Sabbath. Und so unterschiedlich die Stile dieser klassischen Alben sind, so unterschiedlich ist auch mein Musikgeschmack. Hier gibt es mehr Infos über mich

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