Endlich wieder Konzerte! Dieser Winter war für die Bands und Veranstalter erneut ein harter – und auch mir war gar nicht mehr bewusst, dass ich schon wieder über ein halbes Jahr in keiner Rock-Location mehr war. Umso großer war meine Vorfreude, mit Trope und The Pineapple Thief zwei meiner Lieblingsgruppen an einem Abend – und dann noch in meiner Heimatstadt Oberhausen – sehen zu können. Eines vorweg: Ich wurde nicht enttäuscht und ging mit strahlenden Augen und einem breiten Grinsen im Gesicht nach Hause.
Leider macht es die aktuelle Lage den Organisatoren und Gästen immer noch nicht leicht. Auch vor der Turbinenhalle 2 herrschte vor dem Einlass etwas Verwirrung um die 2G-plus-Regel. Bedeutet das jetzt geboostert und mit Test – oder ohne? Corona war neben dem Ukraine-Krieg sicherlich einer der Hauptgründe, warum so mancher Rockfan der ersten größeren Konzert-Veranstaltung im Ruhrgebiet seit mehreren Monaten leider fern blieb – trotz des hervorragenden Line-ups.
Trope glänzen in intimem Ambiente
Aber auch die Tatsache, dass The Pineapple Thief und Trope erst am Wochenende zwei Gigs hintereinander im renommierten Cultuurpodium Boerderij in Zoetermeer gespielt hatten, trug nicht zu einem hohen Besucheraufkommen bei. Wenn sich in Oberhausen bekannte Bands die Klinke in die Hand geben, bevölkern sonst traditionell viele unserer holländischen Nachbarn die zahlreichen Konzertarenen, die die Region zu bieten hat.
Die Turbinenhalle war vielleicht zu einem Drittel gefüllt. Der Kontrast zu meinem letzten Konzertbesuch am 1. Oktober 2021 bei Jinjer im restlos überfüllten Essener Turock konnte also kaum größer sein. Aber Diana Studenberg und Moonhead von Trope kennen sich bestens damit aus, intime Konzerte zu etwas Besonderem zu machen – spielten die beiden doch während ihres Bulgarien- und Rumänien-Aufenthaltes im Sommer 2021 schon in Pizzerias und Bars vor noch viel weniger Zuhörern. Es ist wirklich unglaublich, wie die beiden – trotz der extrem schwierigen Situation speziell für Newcomer-Bands – beharrlich ihren Weg in die erste Prog-Rock-Liga weiterverfolgen. Und der wird sie – davon bin ich fest überzeugt – irgendwann in noch größere Locations bringen, als es die Turbinenhalle ohnehin schon ist.
Diana Studenberg und Moonhead mit Akustik-Set
Trope spielen auf dieser Support-Tour akustische Versionen einiger Stücke ihres ziemlich genau vor einem Jahr veröffentlichen, brillanten Debüts “Eleutheromania” (Review hier). Und woran viele etablierte Rockmusiker auch nach Jahrzehnten in der Szene kläglich scheitern, brachte das Duo locker über die Bühne: nämlich auch ohne elektrische Unterstützung mitreißend zu klingen.
Diana ist einfach wie fürs Rampenlicht gemacht – und trifft sogar auch noch jeden Ton, wenn sie wie ein Derwisch von einer Ecke zur anderen läuft. Im Gegensatz zu ihrer enormen Bühnenpräsenz, der die Musikfans in Oberhausen von der ersten Minute an in ihren Bann zog, ist Moonhead der Ruhepol im Hintergrund. Stoisch auf seinem Stuhl sitzend, interpretiert er die anspruchsvollen und mit vielen Tempiwechseln gespickten Kompositionen sogar auf der Akusikgitarre brillant. Beim letzten Stück “Pareidolia” geht auch er aber aus sich heraus – es gibt eine tolle Solo-Einlage, der selbst Diana, ganz andächtig auf dem Boden kniend, lauscht.
Zweites Trope-Album wird noch progressiver
Nach etwas mehr als einer halben Stunde ist das famose Vorprogramm leider schon beendet. Der große Applaus ist mehr als verdient nach dieser Vorstellung. Und dass die beiden auch supernette Charaktere sind, bewiesen sie anschließend am Merchandising-Stand. Auch ich hatte dort die Gelegenheit, beide endlich mal persönlich zu treffen, nachdem ich mit Diana Studenberg im vergangenen Sommer bereits ein Video-Interview gemacht hatte.
Bei der Gelegenheit verrieten sie mir, dass ein zweites Album fest geplant ist. Es soll noch viel progressiver ausfallen – ich bin sehr gespannt darauf und glaube, dass das ihr endgültiger Durchbruch sein könnte. In Oberhausen haben Trope auf jeden Fall viele neue Anhänger gewonnen. Nach der Europa-Tour mit The Pineapple Thief, die am 26. März in der finnischen Hauptstadt Helsinki endet, geht’s für sie erstmal wieder zurück nach USA/Kanada. Dort steht eine große Tournee als Vorgruppe der Prog-Metal-Stars Symphony X und Haken an – auch das ist eine Riesenchance für die Band, sich weiter hochzuarbeiten.
The Pineapple Thief treffen den Nerv der Zeit
In der Umbauphase, die sehr kurz ausfiel, weil Trope eben nicht mit voller fünfköpfiger Besetzung aufliefen, hatte ich übrigens eine sehr nette Unterhaltung mit André und Klaus von „Betreutes Proggen“ – eine meiner Lieblings-Musikseiten im Netz – Die beiden waren ebenfalls in erster Linie wegen Trope vor Ort – was für ein Kompliment für eine Vorgruppe!
Aber dann ging’s für mich schon wieder in den Bühnengraben. Die ungewohnten Klänge einer Marimba erinnerten an beste Peter-Gabriel-Zeiten – und läuteten das erste Pineapple-Thief-Stück des Abends ein. Ich würde die im Jahr 1999 von Sänger und Songschreiber Bruce Soord gegründeten britischen Alternative-Progger nicht unbedingt als politische Formation einordnen. Aber der Titel „Versions Of The Truth“ könnte durchaus als Statement für die heutige Weltlage durchgehen, in der sich etwa Russlands Aggressor Wladimir Putin aktuell die eigene Version der „Wahrheit“ über seinen Ukraine-Feldzug zusammenreimt. Aber auch „In Exile“ oder „No Man‘s Land“ passen textlich sowie von der melancholisch-traurigen Stimmung her perfekt in die derzeitige schlimme Situation vieler Menschen in dem osteuropäischen Kriegsschauplatz.
Independent-Vibe über die Jahre erhalten
Was The Pineapple Thief ebenfalls weit aus der Masse der Progressive-Rock-Projekte unserer Zeit heraushebt, ist der Independent-Vibe, den sie sich über die Jahre stets erhalten haben. Da wird auch schon mal – wie bei „Give It Back“ – ordentlich abgerockt und auf der Klampfe „geschrammelt“. Die Stimme von Bruce, die gelegentlich gar an Billy Corgans Organ bei den Smashing Pumpkins erinnert, verstärkt diesen Eindruck noch.
Mit der Verpflichtung von Gavin Harrison für die Aufnahmen zu “Your Wilderness” – in meinen Augen immer noch ihr “Magnum Opus – ist der Gruppe 2016 zudem ein echter Glücksgriff gelungen. Der frühere und bald wieder Schlagzeuger von Porcupine Tree katapultiert die „Ananas-Diebe“ mit seinen überragenden Fähigkeiten in eine ganz andere musikalische Liga. Man höre sich nur seine Drum-Patterns und Fills bei “Our Mire” oder dem Longtrack “White Mist” an. Selbst technisch versierte Kollegen würden dabei nicht nur ordentlich ins Schwitzen, sondern völlig aus dem Takt kommen.
Gavin dagegen spielt die Parts mit fast unmenschlicher Präzision und ohne mit der Wimper zu zucken. Nur selten verzieht er hinter seinem Kit die Miene. Auf britisches Understatement versteht sich der vom „Prog-Magazine“ 2021 erneut als „Drummer of the Year“ ausgezeichnete 58-Jährige halt ebenfalls bestens. Er ist zudem kein Showman, sondern ein absoluter Teamplayer und spielt bei aller Virtuosität immer absolut songdienlich.
Pineapple-Thief-Klassiker wird auch gespielt
Obwohl die Mehrzahl der Stücke von den letzten drei Alben mit dem neuen Mann an den Fellen stammt, unternimmt die Band bei der ersten Zugabe auch eine Zeitreise zu ihren Anfängen. „Part Zero“ stammt vom dritten Werk “Variations On A Dream” aus dem Jahr 2003 und ist einer der Tracks, bei dem auch Mastermind Bruce Soord mit einem langen Gitarrensolo richtig glänzen kann. Danach liefern die Jungs mit dem rund zehnminütigen “The Final Thing On My Mind” noch einen Wahnsinns-Performance ab. Wobei sie vor dem Auftritt eigentlich noch einen anderen Song als “Rausschmeißer” im Kopf gehabt haben müssen. Denn auf dem Setlist-Zettel war mit “Nothing At Best” noch absoluter ein Mitklatsch-Song als dritte und letzte Zugabe vorgesehen.
Trope und The Pineapple Thief bald in Übersee
Warum auch immer das Stück nicht gespielt wurde – auch Dauerklatschen nützte nichts, um die Band nach rund 100 Minuten Auftrittszeit noch einmal zur Bühnen-Rückkehr zu bewegen – es war trotzdem ein unvergesslicher Abend. Für die fünf Musiker ist nach der Runde durch Europa ebenfalls längst nicht Schluss. Auch sie gehen ab Mai auf eine ausgedehnte Nordamerika-Reise.
Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Verhältnisse auch in Europa möglichst schnell normalisieren und wir wieder regelmäßig so tolle Konzertabende wie diesen in der Turbinenhalle erleben dürfen. Ich bin gespannt, was die Zukunft für beide Bands bringt und wünsche ihnen dafür nur das Beste!