Das berühmt-berüchtigte zweite Album. Viele gehypte Newcomer-Bands sind kläglich daran gescheitert, nach dem umjubelten Debüt einen mindestens ebenbürtigen Nachfolger zu produzieren. Und jetzt kommen Trope um die Ecke und beweisen eindrucksvoll, dass es noch Ausnahmen von der Regel gibt.
Damit nicht genug: Sie servieren der Zuhörerschaft ein komplett in Eigenregie produziertes und finanziertes Doppelalbum mit 17 Songs, von denen der längste fast die Neun-Minuten-Marke reißt und das aufgrund seines Dynamikumfangs geradezu schreit nach einem ungestörten Genuss im stillen Kämmerlein, am besten mit High-End-Equipment. In Zeiten von komprimiertem, musikalischem Fast-Food bei Spotify und Co. – mundgerecht serviert in möglichst kurzen und möglichst lauten Chart-tauglichen Häppchen – ist das ein sehr mutiger Schritt. Sozusagen ein trotzig ausgestreckter Mittelfinger in Richtung der allmächtigen Streaming-Industrie.
Vorab-Version klingt bereits brillant
Daher habe ich mir mit meinem Review etwas Zeit gelassen. Es wäre nicht gerechtfertigt gewesen, dem neuen Werk der kanadisch-australischen Formation nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, die es zweifellos verdient. Insofern verbat sich ein beiläufiger Konsum im Autoradio, etwa auf den Arbeitswegen zu meiner Zeitungsredaktion. Stattdessen wurde das Album erst in den letzten Tagen zuhause einem intensiven Hörtest unterzogen – auf guten Kopfhörern wie Apples AirPods Max, die kabelgebunden fast jedes Detail aus den komplexen Stücken herauskitzeln.
Um eines vorweg zu nehmen: Es hat sich mehr als gelohnt! Die erste Live-Listening-Session, die Sängerin Diana Studenberg und Multi-Instrumentalist Dave Thompson (alias Moonhead) am 5. Juli auf ihren Facebook- und Instagram-Profilen veranstalteten, ließ mich angesichts des Abwechslungs- und Einfallsreichtums der Kompositionen tief beeindruckt zurück.
Danach stellten die beiden netterweise allen, die ihr neues Album online bereits vorbestellt hatten, auf der Plattform Soundcloud einen kostenlosen Stream der Pre-Mastered-Version zur Verfügung – auch mir. Nach mehreren Hördurchgängen nehme ich vorweg: Das Ergebnis ist ein künstlerischer Triumph, wie ich ihn in den letzten Jahren oder gar Jahrzehnten selten erlebt habe. Trope erkunden auf DYAD nicht nur die gesamte Bandbreite modernen Progressive-Rocks und anspruchsvoller Alternative-Musik, sondern unternehmen auch unerwartete Abstecher in andere Genres.
Album-Titel und Cover passen perfekt
Der Album-Titel DYAD ist ein Synonym für Zweiklang. Den Titel greifen die Künstler einerseits im Tracklisting auf, das auf Seite 1 komplexere und auf Seite 2 zugänglichere Tracks bietet. Andererseits präsentiert sich die Cover-Art mit einem Gemälde in Form des Yin und Yang aus der chinesischen Philosophie. Sie spiegelt einige Themen und Motive aus den Songs wider – etwa die verwitterten Blätter des gleichnamigen Auftaktstücks Spoiled Leaves. Nach einem düsteren Beginn mit Glockenschlägen, die selbst der von uns gegangene „Fürst der Dunkelheit“ Ozzy Osbourne und seine Black-Sabbath-Kumpels in ihrem 1970er-Debüt nicht besser hinbekommen haben, erhebt sich die vertraute, glasklare Stimme von Diana und steuert Moonhead die ebenso vertrauten Akkorde auf der Gitarre bei, die Trope schon auf Eleutheoromania in die Nähe von Tool rückten, ohne eine billige Kopie zu sein. Denn damals wie heute stand und steht die Eigenständigkeit im Vordergrund, die – bei aller Komplexität – von einer enormen Eingängigkeit der Tracks herrührt.
Der Opener umschmeichelt zunächst die Gehörgänge mit Dianas einfühlsamem Gesang, bis es zum Finale hin wild wird: Auf arabisch anmutende Rhythmen folgen Hardcore-Screams. Für den nötigen Drive sorgt Max Botko, der als Session-Schlagzeuger für den Großteil der Fell-Arbeit auf DYAD verantwortlich zeichnet. Ich muss gestehen, dass ich den jungen US-Musiker bisher gar nicht auf dem Schirm hatte. Mittlerweile habe ich mir aber auf Instagram einige seiner Demo-Videos angeschaut, die seine Klasse in verschiedensten Genres eindrucksvoll unter Beweis stellen.

Callous, das mir als zweite Vorab-Auskopplung auf Apple Music etc. bereits recht vertraut war, ist quasi das Gegenstück zu Pareidolia vom Debüt – so viele Haken schlägt das Stück im Verlauf seiner fast sechs Minuten. Dianas Vocals transportieren erneut verschiedenste Emotionen. Gegen Ende erinnert mich ihr Gesang in einigen Zeilen gar an den leider längst verstorbenen Jeff Buckley auf Grace – noch so ein Künstler, von dem ich weiß, dass sie ihn liebt.
Ein echtes Brett sind auch die folgenden Stücke des ersten DYAD-Teils: Fever Dream, Walk On Water und Sigil haben unzählige Wendungen zwischen Zerbrechlichkeit und Aggressivität, viele kleine Details und jede Menge krumme Takte zu bieten, dass sie sich in den ersten Hördurchläufen nicht alle auf Anhieb erschließen. Wie es sich eben für ein Meisterwerk modernen Progressive-Rocks gehört…
Die Erfüllung eines verrückten Traums
Here’s To The Lonely ist danach eine willkommene Abwechslung: Das Lied bleibt sofort hängen und hätte genauso gut auch auf Seite 2 veröffentlicht werden können, ohne das sich jemand darüber beschweren würde. Es gibt außerdem einen besonderen Gast-Schlagzeuger – und für mich die Erfüllung eines verrückten Traums, den ich schon lange hatte.
Eine kleine Anekdote sei daher an dieser Stelle erlaubt. Ich erinnere mich noch genau an den Sommer und Herbst 2021, mitten in der Pandemie. Damals chattete ich häufiger mit Diana (und machte auch ein Video-Interview mit ihr). Zusammen mit Moonhead war sie gerade in Rumänien und Bulgarien unterwegs. Beide spielten in den kleinsten Clubs, Kneipen oder Pizzerien, um sich ihre ersten Live-Meriten zu verdienen. Parallel suchten sie dringend nach Musikern, um aus ihrem Duo eine komplette Band zu machen. Ich äußerte in einem der Gespräche die Schnapsidee, doch einfach mal Gavin Harrison nach Unterstützung zu fragen. Der Porcupine-Tree– und King-Crimson-Schlagzeuger war gerade auch bei The Pineapple Thief als dritter Live-Gruppe eingestiegen, und für deren Konzert in Hamburg hatte ich ein Interview mit Support Alex Henry Foster vereinbart. Wenn mir dort also Backstage der Drum-Gott höchstpersönlich über den Weg läuft, schlage ich ihm kurzerhand den Einstieg in seine vierte Prog-Rock-Gruppe vor. So lautete mein kühner Plan. Lange Rede, kurzer Sinn: Alles endete wie so oft in der Corona-Phase – mit einer herben Enttäuschung. Der Konzertabend fiel aus, ich fuhr nicht in die Hansestadt und hatte keine Gelegenheit, Alex zu interviewen oder Gavin über den Weg zu laufen.
Letztlich gab es aber für Trope – und für meine Schnapsidee – ein Happy End. Bei der nächsten Pineapple-Thief-Europa-Tour im Jahr 2022 konnten sie als Vorgruppe dabei sein – unter anderem in meiner Heimatstadt Oberhausen – und hatten somit tatsächlich direkten Kontakt zu Gavin. Das Ende vom Lied: Nun sitzt er für Here’s To The Lonely hinter dem Drumkit und gibt dem Lied mit seinem großen Können eine besondere Note. Sogar die verrücktesten Träume gehen eben manchmal in Erfüllung…
Was mich zum letzten Track auf Seite 1 bringt… und zur nächsten Überraschung. Denn auf „Past“ geht es fast Punk-mäßig zur Sache: Ein knallhartes Riff folgt auf das nächste und Diana schreit Lyrics aus der Feder eines gewissen Darius Trismegistus ins Mikro – so aggressiv, dass ihre Screams auch von den Hardcore-Proggern Between The Buried And Me stammen könnten. Fast neun Minuten dauert die Achterbahn-Fahrt, die einen wie ein „Freight Train“ trifft – um den Text zu zitieren – und die gekrönt wird von einem ruhigen Part mit Dianas engelsgleicher Stimme. Das Seltsame: Das Aufeinanderprallen völlig unterschiedlicher musikalischer Welten in einem einzigen Song macht hier absolut Sinn und leitet perfekt über zur anderen Seite von DYAD.
Vom Yin zum Yang
Die Magie von Trope zeigt sich hier sogar noch deutlicher: Nach der Härte, dem dunklen Yin, zaubern Diana und Moonhead zum Auftakt von Seite 2 das helle Yang in Form des federleichten Glory aus dem Ärmel, als wäre es die leichteste Übung. Der Beginn und der nur angedeutete Refrain erinnern an die Prog-Hochzeiten der 1970er Jahre, konkret das Falsett von Yes-Sänger Jon Anderson, dessen Ton die Trope-Frontfrau perfekt trifft. Zwischendurch höre ich auch Anklänge modernerer Rush – Dianas kanadischer Landsmänner, die sich bis zum Tode von Drummer Neil Peart (2020) ebenfalls aus einer nie versiegenden Talent-Quelle gespeist haben.

Mit Happiness folgt direkt die nächste Überraschung: Moonhead übernimmt das Mikrofon – und wie! Der Mann hat wie seine Kollegin eine extrem wandlungsfähige Stimme, die in diesem Fall zwischen Freude und Trauer changiert. Das Stück ist eine bittersüße Hymne mit einem mitreißenden Refrain, der sich sofort tief in den Gehörgängen festsetzt.
Neben solchen Songs mit Hitpotenzial aus eigener Feder haben Trope bereits auf ihrem Debüt mit Tears For Fears’ Shout bewiesen, dass sie auch die Disziplin des Coverns perfekt beherrschen. Jetzt gibt es mit Golden Brown einen ebenbürtigen Nachfolger. Als ich den dritten Vorab-Release von DYAD zum ersten Mal gehört habe, fehlte mir zunächst die Keyboard-Melodie, die das Stranglers-Original so außergewöhnlich macht. Aber die Tribute-Version kompensiert das mit einem Riff-Feuerwerk und mehrstimmigen Gesängen, die dem Rock-Klassiker eine ganz neue Facette abgewinnen. Hier gilt dasselbe wie bei Here’s To The Lonely – nur umgekehrt: Das Lied wäre mit seinen Tempi-Wechseln im Prog-Rock-Teil des Albums nicht fehl am Platz gewesen. Als Gast sitzt übrigens ein weiteres bekanntes Gesicht hinter dem Drumkit: Gunnar Olsen von Puscifer. Damit gibt es eine weitere Reminiszenz zu Tool: Erstgenannte Band ist bekanntlich eines von zwei Nebenprojekten des Frontmanns Maynard James Keenan.
Diana Studenberg und Moonhead im perfekten Zweiklang
Doch bei den nächsten Stücken verbieten sich sämtliche Vergleiche mit der US-amerikanischen Alt-Prog-Speerspitze. Es geht in Richtung modernem Blues-Rock und auch diese Klaviatur beherrschen Trope virtuos, wie sich schon bei Incurable, erneut mit Moonhead am Mikro, zeigt. Von dem, was textlich bei mir hängen blieb – ich freue mich schon aufs vollständige Lyrics-Sheet der CD-Version –, scheint es wohl um eine verlorene Liebe zu gehen, wie eben so oft in dem Genre. Seven Winters ist unmittelbar danach so etwas wie die Antwort von Diana auf sein Wehklagen. Besonders schön kommen hier die unterschiedlichen Klangfarben zur Geltung, die Moonhead als Gegenpart zum Gesang aus seiner Gitarre holt. Man merkt dem Album generell an, dass mehrere Jahre harte Studio-Arbeit mit endlosen Tüfteleien investiert wurden, um letztlich zu einem derartig überwältigen Ergebnis zu kommen. Respekt vor so viel Beharrlichkeit und Selbst-Disziplin, die sich beim endgültigen Release hoffentlich auch in den Verkaufszahlen niederschlägt. Den Abschluss der bluesigen Song-Trilogie bildet A Mare’s Nest, in dem Diana und Moonhead quasi als Paar zueinanderfinden – in Form eines Duetts, mit ihren sehr gut harmonierenden Stimmen.
Eine Ballade par excellence ist dann Slipping Away From Me, der einzige rein akustische Song von Dyad, dessen Refrain wieder Emotion pur ist. Das folgende What I Want ist für mich der heimliche Star der zweiten Seite: „What I want is for everyone to feel what I feel“, singt Moonhead vor einer dramatischen Soundkulissse und begleitet von Dianas Harmoniegesang – und man möchte ihm angesichts der Gänsehaut erzeugenden Klänge jubelnd zurufen: „Ja, ich habe verstanden, was Du mit dieser Musik ausdrücken möchtest!“ Bis zum Finale wird die Spannung immer weiter aufgebaut, so dass ich zunächst dachte, dies wäre der letzte Song und damit ein mehr als würdiger Abschluss.
Aber es folgen ja noch zwei weitere Tracks. Use ist ein ziemlich geradliniger Rock-Song, erneut geprägt von harten Riffs, in dem einmal mehr Moonhead ins Rampenlicht tritt. Und zum tatsächlichen Abschluss singt Diana, unterstützt von Moonheads Harmonien, scheinbar über eine Lie (so auch der Songtitel), während sich musikalisch der Kreis zum Album-Beginn mit den bekannten Bass-Linien à la Tool schließt. Ein passender Ausklang mit einem weiteren tollen Refrain, der lange im Kopf hängenbleibt. Mein einziger Kritikpunkt: Das Stück wird nach gerade mal drei Minuten mit einem Fade-out beendet – und damit viel zu schnell. Diesen Wohlklang zum Ende des DYAD-Zweiklangs hätte man gerne noch viel länger gehört.
DYAD: Ein modernes Meisterwerk
So geht mein Finger nach rund 80 Minuten großartiger Musik mit viel Prog und Alternative, gespickt mit einer Prise Blues-Rock und etwas Pop-Appeal, unweigerlich wieder in Richtung Play-Button. Denn DYAD macht süchtig. Angesichts auch der Länge dieses Reviews fällt wenigstens mein Fazit kurz aus: modernes Meisterwerk mit dem Zeug zum Klassiker! Oder wie ich damals bei der Listening-Session im Facebook-Chat euphorisch geschrieben habe: „No filler, all killer“.
Für mich ist sicher: Trope werden nach dem offiziellen Release dieses grandiosen Doppelalbums – voraussichtlich noch in diesem Jahr, nachdem Star-Engineer Ted Jensen von Sterling Sound das endgültige Mastering erledigt hat – viele neue Fans gewinnen und hoffentlich auch die einschlägigen Rock- und Alternative-Charts erobern. Das Zeug zum Welterfolg ist vorhanden. Es fehlt nur noch, und da wiederhole ich mich leider: eine komplette Band. Ich drücke Diana und Moonhead fest die Daumen, dass sich daran bald etwas ändern wird. Ich habe schließlich noch einen weiteren verrückten Traum: Trope in voller Besetzung als Headliner auf der Bühne einer großen Konzertarena. Vielleicht geht der ja auch in Erfüllung…
Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ (11 von 12 Punkten)
Album: Trope – DYAD (noch nicht offiziell erschienen)
Trackliste:
- Spoiled Leaves 4:49
- Callous 5:58
- Fever Dream 5:24
- Walk on Water 4:43
- Sigil 5:31
- Here’s to the Lonely 4:25
- Past 8:29
- Glory 4:35
- Happiness 3:12
- Golden Brown 3:31
- Incurable 3:34
- Seven Winters 4:41
- A Mare’s Nest 3:30
- Slipping Away From Me 3:11
- What I Want 3:33
- Use 3:18
- Lie 3:03
Trope im Internet:
Webseite
Bandcamp
Facebook
Instagram
Spotify
Apple Music
YouTube